T. Mäusli u.a. (Hrsg.): Radio und Fernsehen in der Schweiz

Cover
Titel
Radio und Fernsehen in der Schweiz. Geschichte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG 1983–2011


Herausgeber
Mäusli, Theo; Andreas, Steigmeier; François, Vallotton
Reihe
Radio und Fernsehen in der Schweiz 3
Erschienen
Baden 2012: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
510 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Severin Rüegg

Rund 500 grossformatige Seiten füllt der letzte Band der SRG-Geschichte. Nur schon die Struktur des Buches macht die Vielschichtigkeit des Gegenstandes augenfällig: so ist es dreisprachig verfasst, mit einer Zusammenfassung nach jedem Kapitel, einer Vielzahl an Bildern und einer umfangreichen Online-Dokumentation an schriftlichen Quellen, Radio- und Fernsehbeiträgen. Damit bietet es nicht nur einen guten Einblick in die Unternehmensgeschichte, sondern auch einen nützlichen Einstieg für eigene Fragestellungen.

Mit dem vorliegenden Band geht ein Forschungsprojekt zu Ende, das im audiovisuellen Aufbruchsklima der 1990er Jahre geboren wurde. Damals entstand nicht nur das Forschungsprojekt – noch unter der Leitung von Markus T. Drack – sondern auch das Kompetenznetzwerk Memoriav. War bis dahin die einschlägige Literatur dünn gesät und der Zugang zu den audiovisuellen Quellen für die Forschung beschwerlich, so sollte sich hier ein langsamer, aber bedeutender Wandel vollziehen. Memoriav führte bald die ersten grossen Rettungs- und Digitalisierungsprojekte für das nationale Fernseh- und Radio-Erbe durch, und Markus T. Drack vernetzte Forschende und gab wichtige Impulse mit seinen rundfunkgeschichtlichen Kolloquien. Hat Memoriav über die Datenbank «memobase» audiovisuelle Quellen auffindbar und im Bundesarchiv zugänglich gemacht, so haben die ersten beiden Bände der SRG-Geschichte eine wichtige Lücke gefüllt, zur professionellen Aufbereitung des Unternehmensarchivs geführt und Anregung und Ausgangspunkt für viele Forschungsfragen geboten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Nun hat Memoriav letztes Jahr die «memobase» insofern überarbeitet, als dass nicht nur die Metadaten, sondern auch die Beiträge selbst abrufbar sind und so Forschung und Unterricht stark bereichern wird. Fast zeitgleich ist nun der vorläufig letzte Band der Reihe «Radio und Fernsehen in der Schweiz» erschienen, wodurch ein solides Fundament für weitere Forschung gelegt ist.

Im ersten Band der Reihe wurde der Zeitraum bis 1958 behandelt und wurden somit die Anfänge des Radios in der Schweiz bis zur Einführung des Fernsehens dargestellt. Der zweite Band unter der Leitung von Theo Mäusli und Andreas Steigmeier bot einen Überblick der Jahre 1958–1983, die Jahre zwischen Schaffung und Abschaffung des SRG-Monopols. Der nun vorliegende Band deckt die Jahre der Liberalisierung und der Digitalisierung des Rundfunkmarktes ab. Als medienspezifische Themen der Jahre 1983–2010 gelten den Autoren vier Entwicklungen: das duale System (öffentlichrechtliche und private Stationen), Regelung des elektronischen Medienmarktes, die Konvergenz von Radio und Fernsehen und schliesslich der internationale Austausch und die Ausstrahlung von Programmen. In sieben Kapiteln werden diese Themen von 9 Autor/ innen behandelt, eine inhaltliche Klammer bilden die drei Texte der Herausgeber. Den sich verändernden Rahmenbedingungen für die SRG, bedingt durch die Marktöffnung, sind zwei Kapitel gewidmet. «Die Abschaffung des Monopols» von Matthias Künzler zeichnet den Weg nach von Marktöffnung als wissenschaftlichem Experiment bis zum Radio- und Fernsehgesetz von 2006 und schildert die gesetzliche und strukturelle Veränderung des Radio- und Fernsehmarktes im Spannungsfeld wirtschaftlicher Ambitionen, ausländischer Konkurrenz und politischen Vorgaben. In «Les rispostes de la SSR à la libéralisation du marché de l’audiovisuel» dient Raphaëlle Ruppen Coutaz das zweite Fernsehprogramm als Fallstudie der Liberalisierung und die Markenkommunikation «SRG SSR idée suisse» als Vorlage, um den Leistungsauftrag der SRG und dessen Vermittlung genauer zu betrachten.

Mit der zugrundeliegenden technischen Veränderung beschäftigt sich das Kapitel «Die Digitalisierung» von Adrian Scherrer. Von der Veränderung des Angebots durch Kabel- und Satellitenempfang hin zur Digitalisierung zunächst der Produktionsabläufe und schliesslich der Verbreitungskanäle. Letzteres bedeutet neben der neuen Übertragungstechnik auch freiere Muster der Mediennutzung. Der Autor verfolgt dabei einen Ansatz wie der Artikel «Technik zwischen Programm, Kultur und Politik» im zweiten Band: technische Neuerung als Resultat eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses.

«Stiamo lavorando per voi», das Kapitel von Nelly Valsangiacomo, widmet sich einem Thema, das in den vorherigen Bänden noch keines war: interne Reformen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Das bedeutet zum einen Reorganisationen, aber auch tiefergreifende Strukturveränderungen hin zur aktuellen Konvergenz von Radio, Fernsehen und Internet. Dies geschieht vor dem Hintergrun sich verändernder Marktbedingungen und dem Erfolg des New Public Management.

Das Kapitel «Der Spagat der SRG in der Kultur» von Ina Boesch und Ruth Hungerbühler ergänzt die sonst eher strukturell angelegten Untersuchungen um die Rolle der SRG als Förderin und Vermittlerin von Kultur. Das dies ein Spagat zwischen unterschiedlichen Anforderungen darstellt, hat schon der Artikel im zweiten Band («Qualität und Quote») aufgezeigt. Ausgehend von den Protesten in den 1990er Jahren gegen die Sparmassnahmen bei den Kulturradios zeigen die Autorinnen, wie die SRG in unterschiedlichem Masse und sich verändernden Formen ihre Rolle als Vermittlerin und Produzentin von Kultur wahrnimmt, wobei nationale Projekte an Bedeutung verlieren. Der Artikel selbst hat einen grossen Spagat zu leisten, da er sich nicht nur einem breiten Kulturbegriff, sondern auch der Unterhaltung und der gesellschaftlichen Integration durch Kultur annimmt.

Edzard Schade führt mit «Programmgestaltung in einem kommerzialisierten Umfeld» seinen Artikel aus dem zweiten Band «Die SRG auf dem Weg zur forschungsbasierten Programmgestaltung» weiter und zeigt den Niederschlag der Publikumsforschung in der Programmgestaltung.

Die Entwicklung auf der Ebene der Programmstruktur wird von Daniel Beck und Constanze Jecker sehr fruchtbar auf Formate und Sendungen angewendet: «Gestaltung der Programme – Zwischen Tradition und Innovation». In der Untersuchung der Sender und der Sendungen zeigt sich in der Unterhaltung wie auch in den Nachrichten eine Betonung schweizerischer Themen, in Abgrenzung zur ausländischen Konkurrenz.

Im Vergleich zu den vorhergehenden Bänden gewichtet der letzte Band Programmgestaltung und Aspekte der Betriebswirtschaft stärker und bildet somit auch deren Bedeutung im Untersuchungszeitraum ab. Dadurch treten Fragen zur Berichterstattung, Publikumsrezeption und Programmgeschichte in den Hintergrund. Dass diese Bereiche grosses Potential haben, zeigen gerade der Artikel von Adrian Scherrer und jener von Daniel Beck und Constanze Jecker.

Der Anspruch der Publikation, alle Sprachräume und Sender durchgehend bis in die Gegenwart abzubilden, ist äusserst begrüssenswert, bedeutet aber auch eine grosse Herausforderung. Auch wenn die Autoren immer wieder um exemplarische Darstellung bemüht sind, geht der universelle Anspruch teilweise auf Kosten der inhaltlichen Tiefe und Anschaulichkeit. Der Entscheid, die Geschichte bis in die Gegenwart fortzusetzen, verschärft diese Problematik zuweilen, da grosse Entwicklungen, die auch medial Aufmerksamkeit erhalten haben, verkürzt dargestellt werden müssen, ohne durch den zeitlichen Abstand eine kritische Beurteilung und Gewichtung vornehmen zu können.

Dass die Geschichte eines Medienunternehmens auch multimedial umgesetzt wird mit einer iPad-Applikation, die das Buch integral abbildet, ist konsequent und vorbildlich zugleich. Schade nur, dass die enthaltenen Radio- und Fernsehbeiträge rein illustrativ verwendet und kaum analysiert werden.

«Radio und Fernsehen in der Schweiz» ist eine wichtige Gesamtdarstellung der letzten 30 Jahre, die eine bedeutende Forschungslücke markiert und Archive wie Forschende ermutigen soll, diese Lücke zu schliessen. Mit den drei Bänden und der Datenbank «memobase» sind hierfür wichtige Grundlagen geschaffen, und man kann sich nur dem Wunsch der Herausgeber und Autoren anschliessen, dass dem Zugang und der Erhaltung dieser wichtigen Quellen in Zukunft noch mehr Bedeutung geschenkt wird.

Zitierweise:
Severin Rüegg: Rezension zu: Theo Mäusli, Andreas Steigmeier, François Vallotton (Hg.): Radio und Fernsehen in der Schweiz: Geschichte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG 1983–2011. Baden, hier + jetzt, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 174-176.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 174-176.

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